Der Untergang

Fontane berichtet über das Ende dieses freien Volkes: "Erst mit dem Eintritt des zwölften Jahrhunderts gingen die Dinge einer Wandlung entgegen; die Wendenstämme, untereinander in Eifersüchteleien sich aufreibend, zum Teil auch uneins durch die rastlos weiterwirkende Macht des Christentums, waren endlich wie ein unterhöhlter Bau, der bei dem ersten ernsteren Sturme fallen musste. Die Spree- und Havellandschaften waren, so scheint es, die letzten Zufluchtsstätten des alten Wendentums; Brennabor, nachdem rundumher immer weiteres Terrain verloren gegangen war, war mehr und mehr der Punkt geworden, an dessen Besitz sich die Frage knüpfte, wer Herrscher sein solle im Lande, Sachse oder Wende, Christentum oder Heidentum. Das Jahr 1157, wie eingangs schon bemerkt, entschied über diese Frage. Albrecht der Bär erstürmte Brennabor, die letzten Aufstände der Brizaner und Stodoraner wurden niedergeworfen, und mit der Unterwerfung des Spree- und Havellandes empfing das Wendenland zwischen Elbe und Oder überhaupt den Todesstoß."

Albrecht der Bär hatte 1150 die slawischen Gebiete vom christlichen Wendenfürsten Pribislaw geerbt, aber erst nach harten Kämpfen mit Wendenfürst Jakzo von Köpenick festigte er seine Macht. Zur Widerbelebung und assimilativen Übermacht der Christen holte er Rheinländer, Holländer und Flamen in die Mark, die Kolonisierung begann.

Was wurde aus den Wenden? Wurden sie ausgerottet? Auch hier genügt es vollständig, Fontane sprechen zu lassen: "Sie wurden keineswegs mit Stumpf und Stiel ausgerottet, sie wurden auch nicht einfach zurückgedrängt bis zu Gegenden, wo sie Stammesgenossen vorfanden - sie blieben vielmehr alle oder doch sehr überwiegenden Teils im Lande und haben in allen Provinzen jenseits der Elbe unzweifelhaft jene Mischrace hergestellt, die jetzt die preußischen Provinzen bewohnt."

Einzelne Historiker haben dies bestreiten wollen, aber wir glauben, mit Unrecht. Einmal würde eine solche konsequent durchgeführte Racengeschiedenheit gegen die historische Überlieferung aller andern Staaten, bei denen ähnliche Verhältnisse obwalteten, sprechen, andererseits dürfte es, von allen Analogien abgesehen, nicht schwer halten, in aber hundert Einzelfällen solche Mischung der beiden Racen nachzuweisen. Es ist wahr, die Deutschen brachten den Stolz des Siegers mit, ein Racegefühl, das, auf geraume Zeit hin, eine Schranke gezogen haben mag; wir halten uns aber nichtsdestoweniger überzeugt, dass, noch ehe die Hohenzollern ins Land kamen, jedenfalls aber noch vor Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, diese Unterschiede so gut wie verwischt waren. Sie mögen an einzelnen Orten länger bestanden haben, es mag Ortschaften geben, wo sich bis diesen Tag eine Exklusivität findet, die auf jene alte Wendenabneigung zurückzuführen ist, im großen und ganzen aber liegt die Verschmelzung weit zurück. Wir wollen dabei andererseits gern zugeben, dass, wenn innerhalb der seitdem verflossenen Jahrhunderte die Generationen in den Dörfern, säend und erntend, in einem ewigen Wechsel und doch zugleich in einem ewigen Gleichmaß des Friedens aufeinander gefolgt wären, diese Empfindungen und Äußerungen des Racendünkels vielleicht fortgedauert hätten.

Aber "die Not gibt wunderliche Schlafgesellen", und die Konservierung alter Vorurteile wurde durch die Verhältnisse, durch Brand und Krieg, durch die Gemeinschaftlichkeit des Unglücks unmöglich gemacht. Das Aufeinanderangewiesensein riss jene Schranke nieder, die die Fülle selbstbewussten Glücks aufgerichtet hatte. Mehrfach ging der schwarze Tod durch das Land und entvölkerte die Dörfer; was der schwarze Tod nicht tat, das taten, in nie rastenden Kriegen, die Pommern und Polen, und was die Pommern und Polen nicht taten, das taten die Hussiten.

Im Barnim befinden sich vielleicht zwanzig oder dreißig Feldmarken, die Namen wie Wüste-Sieversdorf, Wüste-Gielsdorf, Wüste-Büsow etc. führen, Benennungen aus jener Epoche immer neuer Verödungen her. Die wüst gewordenen Dörfer, namentlich solche, wo einzelne bewohnte Häuser und Hütten stehen geblieben waren, wieder neu zu besetzen war die Aufgabe der Landesverwaltung, die in Brandenburg von jeher den Friderizianischen Satz verfolgte: »Menschen; vor allem Menschen.« Man freute sich jeden Zuzugs, ohne nach der Racenabstammung zu fragen.

Das deutsche Dorf, in dem vielleicht ein Fritze, ein Hansen, ein Dietrichs wohnte, war froh, einen Kroll, einen Noack, einen Posedin die wüst gewordenen Stätten einnehmen zu sehn, und ebenso die wendischen Dörfer empfingen den deutschen Zuzug mit Freude. Die Namensverzeichnisse im Landbuch von 1375, wie die Urkunden überhaupt, lassen keinen Zweifel darüber.

Leicht gemacht wurde es den Wenden auch Jahrhunderte nach der Christianisierung nicht. Lebten sie in ihren alten Ansiedlungen und daneben die Einwanderer, so hieß ihr Dorf "Klein-" , das der Deutschen "Groß-" (z.B. Klein Schwarzlosen und Groß Schwarzlosen). War es Ausgrenzung oder Ausdruck von besonderer Freiheit, wenn die Wenden ihre Dörfer nach ihrer Abstammung benennen durften wie in Wendisch-Rietz? Als vollwertige Christen galten sie noch lange nicht. In einer Kirche in Fergitz am Oberuckersee gibt es einen separaten Eingang für die Wenden, den Eingang der Deutschen durften sie nicht benutzen.

Aber ganz verschwunden sind sie wohl nie, diese bodenständigen, abergläubigen Märker mit ihren zum Teil skurrilen Naturanschauungen. Fontane hat sie noch im Oderbruch ausgemacht: "Das Oderbruch - oder doch wenigstens das Niederbruch, von dem wir im nachstehenden ausschließlich sprechen - blieb sehr lange wendisch. Wahrscheinlich waren alle seine Bewohner, bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts hinein, von ziemlich unvermischter slawischer Abstammung. Die deutsche Sprache war eingedrungen (es ist nicht festzustellen, wann), aber nicht das deutsche Blut."

Die Gegend war auch nicht dazu angetan, zu einer Übersiedelung einzuladen. Ackerland gab es nicht, desto mehr Überschwemmungen, und der Fischfang, den die Wenden, wenigstens in diesen Gegenden, vorzugsweise betrieben, hatte nichts Verlockendes für die Deutschen, die zu allen Zeiten entweder den Ackerbau oder die Meerfahrt, aber nicht den Fischfang liebten. Dazu kam, dass die alten Wenden, wie es scheint, von sehr nationaler und sehr exklusiver Richtung waren und den wenigen deutschen Kolonisten, die sich hier niederließen (zum Beispiel unter dem Großen Kurfürsten), das Leben so schwer wie möglich machten. ... "Die Dörfer im Bruch" - so sagt eine in Buchholtz "Geschichte der Kurmark Brandenburg" abgedruckte Schilderung (Vorrede zu Band II) - "lagen vor der Eindeichung und Neubesetzung dieses ehemaligen Sumpflandes auf einem Haufen mit ihren Häusern, das heißt also, weder vereinzelt noch in lang gestreckter Linie, und waren meistens von gewaltigen, häuserhohen, aus Kuhmist aufgeführten Wällen umzingelt, die ihnen Schutz vor Wind und Wetter und vor den Wasserfluten im Winter und Frühling gewährten und den Sommer über zu Kürbisgärten dienten. Den übrigen Mist warf man aufs Eis oder ins Wasser und ließ ihn mit der Oder forttreiben."

Die Geschichte um das Sühnekreuz in Eggersdorf müssen wir nicht umdeuten - dafür ist sie zu schön. Aber vielleicht wissen wir bald mehr über dessen Entstehungsgeschichte.

Betrachten wir also das Leben und Wirken dieser unseres mittelalterlichen Vorfahren genauer. Wie lebten Sie, hatten sie Städte und Dörfer? Wovon ernährten sie sich? Wie hießen ihre Götter, wie sahen sie aus. Was ist von ihnen geblieben? Also gehen wir auf eine Entdeckungsreise in eine Welt, die vor 1000 Jahren freie Bauern und Fischer, Pferdezüchter und Händler gesehen hat und die - von uns bisher unbeachtet - ihre Spuren hinterlassen hat. Ein unerforschter Ringwall, eine geheimnisvolle versunkene Stadt, ein Pferdeorakel ...

wird fortgesetzt ...